Vorbemerkung

Der folgende Aufsatz wurde im August 2005 in der Zeitschrift Juristische Rundschau (JR), Heft 8/2005, Seite 314-320, veröffentlicht. Zwischenzeitlich wurden Regelungen über die Verständigung im Strafverfahren (den »Deal«) in die Strafprozessordnung aufgenommen. Die Überlegungen aus dem Aufsatz sind damit nicht überholt: Die Neuregelung hat im Kern die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln übernommen, und die Untersuchung hat ihren Schwerpunkt bei Fragen des Verfassungsrechts.

Der Wiedergabe meines Aufsatzes im Internet möchte ich eine Vorbemerkung mit einem Hinweis voranstellen, der für die Leserschaft einer juristischen Fachzeitschrift unnötig war: Es handelt sich um eine Untersuchung mit rechtswissenschaftlichem Anspruch. Zu den Aufgaben der Rechtswissenschaft gehört es, auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu kritisieren, wenn sie denn dazu Anlass gibt. Im folgenden Aufsatz wird unter anderem dargelegt, warum ich bestimmte Aussagen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts für falsch halte beziehungsweise gehalten habe. Rechtswissenschaftliche Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist keine rein akademische Übung. Sie kann im Einzelfall auch einmal dazu beitragen, dass diese Rechtsprechung korrigiert wird. Man darf aber nicht aus den Augen verlieren, dass die Entscheidungen der »einfachen« Gerichte ganz wesentlich durch die Grundentscheidungen der höheren Gerichte geprägt werden (unter anderem, weil dadurch eine einheitliche Handhabung bestimmter Rechtsfragen und damit Rechtssicherheit erreicht werden können).

Mein Aufsatz setzt sich mit der Problematik auseinander, dass nach der Rechtsprechung im Strafprozess zwar das Leugnen der Tat - auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - im allgemeinen nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf, dass andererseits aber ein Geständnis ganz erheblich strafmildernd berücksichtigt wird. Tatsächlich sind aber die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses und eine strafschärfende Wirkung des Leugnens zwei Seiten derselben Medaille. Die Untersuchung hat ihren Schwerpunkt bei der (Vor-)Frage, ob und inwieweit denn das Recht, im Strafprozess zu Schweigen, vom Grundgesetz überhaupt garantiert wird. Sie kommt zum Ergebnis: Dieses Recht, dass nach geltendem Strafprozessrecht natürlich besteht, ist vom Grundgesetz nicht insgesamt geschützt (Achtung: Das widerspricht der im Aufsatz wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts)! Im letzten Abschnitt des Aufsatzes bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass eine pauschale strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen verfassungswidrig sei - weil sie Druck bewirken kann, ein falsches Geständnis abzulegen und sich unschuldig verurteilen zu lassen. Aber: Auch wenn eine pauschale strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen unzulässig ist (Achtung: Nach dem Bundesgerichtshof und der Rechtspraxis der Strafgerichte ist jedes Geständnis geeignet, strafmildernd zu wirken!), schließt das nicht aus, dass ein Geständnis die Strafe deshalb mildert, weil es als Nachtatverhalten das konkrete Maß der Schuld mindert - weil zum Beispiel der Angeklagte damit Reue zeigt oder er vielleicht die Aufklärung einer Tat ermöglicht, die ihm sonst nie hätte nachgewiesen werden können.

Dass die pauschale strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen verfassungswidrig sei, weil sie als Zwang zum falschen Geständnis wirken kann, hätte ich heute nur mit einer weiteren Einschränkung geschrieben: In der Theorie des deutschen Strafprozesses genügt nämlich das Geständnis des Angeklagten ohne weitere Beweismittel nur dann zur Verurteilung, wenn es als ein »qualifiziertes« Geständnis besonders glaubhaft ist, weil etwa der Angeklagte die Tat so schildert, wie nur der Täter es kann. Wenn man das ernst nimmt, ist ausgeschlossen, dass das falsche Geständnis zur Verurteilung eines Unschuldigen führt. Dann wiederum wäre die strafmildernde Berücksichtigung nicht verfassungswidrig (wenn man - wie ich, aber entgegen der herrschenden Meinung - annimmt, dass die Freiheit vom Zwang, sich selbst zu belasten, nicht insgesamt von der Verfassung geschützt ist). Das entspricht allerdings nur der Theorie und nicht der Praxis des deutschen Strafprozesses. Um eine Verurteilung durch ein falsches Geständnis zum Beispiel nach Zusage einer Bewährungsstrafe auszuschließen, müsste man das Geständnis eigentlich besonders kritisch würdigen, nämlich ähnlich wie die Aussage eines »Kronzeugen«, der sich von seiner Aussage Vorteile verspricht. Das gilt umso mehr, als der verteidigte Angeklagte die Ergebnisse der amtlichen Ermittlungen vollständig kennt und es vergleichsweise einfach hat, die Tat stimmig darzustellen, auch wenn er sie tatsächlich nicht begangen hat. In der Praxis werden aber tatsächlich an die Glaubhaftigkeit ein Geständnisses im allgemeinen keine hohen Anforderungen gestellt.

Tatsächlich werden ohne vom Gesetzgeber oder den Regierungen ausgehende Veränderungen die bekanntlich chronisch überlasteten Gerichte auf einen »Strafrabatt« für den geständigen Angeklagten nicht verzichten können. Die Gerichte müssen in ihrer Praxis schlicht die Tatsache honorieren, dass der Angeklagte das Verfahren nicht in die Länge zieht. Wäre nicht die Mehrzahl der Angeklagten geständig, würde die deutsche Strafjustiz zusammenbrechen. Um daran etwas zu ändern, wäre nicht nur eine wesentlich bessere personelle Ausstattung der Justiz nötig. Das derzeitige Verfahrenrecht gibt dem Angeklagten viele Möglichkeiten, das Verfahren in die Länge zu ziehen; auch hier wären Reformen unvermeidbar, wenn man auf den pauschalen »Strafrabatt« verzichten wollte. Der Tatrichter (also im Wesentlichen der Richter am Amts- oder Landgericht) kann und sollte sich bei der derzeitigen Lage aber immherhin bemühen, bei der Handhabung im Einzelfall die Gefahr eines falschen Urteils aufgrund eines falschen Geständnisses so gering wie möglich zu halten.

Hauke Möller, 6. 1. 2011


Verfassungsrechtliche Überlegungen zum »nemo-tenetur«-Grundsatz und zur strafmildernden Berücksichtigung von Geständnissen

Von Dr. Hauke Möller, Hamburg

I. Einleitung

Das Geständnis hat im Strafprozess in aller Regel eine deutlich strafmildernde Wirkung. Das bedeutet, wer ein Geständnis ablegt, wird deutlich milder bestraft als jemand, der unter gleichen Umständen nicht gesteht und dennoch verurteilt wird. Umgekehrt heißt das: Wer nicht gesteht, wird härter bestraft als jemand, der unter gleichen Umständen die Tat gesteht.

Nun gilt jedoch als anerkannt, dass das reine Leugnen der Tat nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf(1). Das folgert man aus dem Rechtsgrundsatz »nemo tenetur se ipsum accusare« – wörtlich übersetzt: »Niemand ist gehalten, sich selbst anzuklagen«. Gemeinhin spricht man kurz vom »nemo-tenetur-Grundsatz«(2) . Die generell strafmildernde Wirkung von Geständnissen ist in der Literatur zwar nicht gänzlich unumstritten(3); sie ist aber in der Rechtsprechung üblich und auch vom BGH prinzipiell anerkannt(4).

Damit ist Anlass gegeben, die Vereinbarkeit einer strafmildernden Wirkung von Geständnissen mit dem »nemo-tenetur«-Grundsatz zu überprüfen. Allerdings ist dieser Grundsatz nur zum Teil im Gesetz niedergelegt; zum Teil handelt es sich um einen ungeschriebenen Rechtsgrundsatz. Ein ungeschriebener Rechtsgrundsatz hat nun aber normalerweise genau die Reichweite, die ihm in der Praxis gegeben wird. Die Überprüfung einer althergebrachten Praxis am Grundsatz ist daher zumindest schwierig. Der »nemo-tenetur«-Grundsatz jedoch wird in Rechtsprechung und Literatur vielfach auf Verfassungsrecht zurückgeführt(5). Sofern es sich tatsächlich um ein aus dem Grundgesetz folgendes Prinzip handelt, kann die Praxis daran ohne weiteres gemessen werden.

Im Folgenden soll nach einem kurzen Blick auf die historischen und gesetzlichen Grundlagen des »nemo-tenetur«-Grundsatzes untersucht werden, ob und inwieweit dieses Prinzip im Grundgesetz niedergelegt ist. Anschließend soll in eher knappem Umfang auf das Problem der strafmildernden Wirkung von Geständnissen eingegangen werden.

II. Der »nemo-tenetur-Grundsatz«

Der Grundsatz »nemo tenetur se ipsum accusare« besagt allgemein, dass niemand als Beweismittel gegen sich selbst dienen muss. Dazu gehören vor allem das Schweigerecht des Angeklagten im Strafprozess, das Schweigerecht des Zeugen, wenn dieser sich selbst belasten müsste, sowie Beweisverwertungsverbote, wenn auf diese Rechte nicht hingewiesen wurde. Aus dem »nemo-tenetur-Grundsatz« werden verschiedene weitere Folgerungen gezogen, bei denen einiges umstritten ist(6).

1. Historische Wurzeln

Die unterschiedlichen Kulturen und Zeiten kannten verschiedene Gerichtsverfahren, von denen einige eine Aussagepflicht des Beschuldigten vorsahen und andere nicht(7). Der heutige »nemo-tenetur«-Grundsatz hat seine historischen Wurzeln in England(8) . Im späten Mittelalter hatte sich dort ein Nebeneinander zweier Strafverfahrensordnungen herausgebildet. Die gemeinen Gerichte verfuhren nach englischem Common Law, nach dem der Angeklagte zwar zur Aussage gehalten war, aber nicht zu mehr gezwungen wurde, als auf »schuldig« oder »nicht schuldig« zu plädieren. Dagegen wurde vor Kirchengerichten und bestimmten Sondergerichten ein inquisitorisches Verfahren angewandt, in dem der Angeklagte vor der Vernehmung den Eid schwören musste, die unbedingte Wahrheit zu sagen(9). In den Umwälzungen des Bürgerkrieges von 1642 bis 1648 entstand aus dem zunächst geforderten Recht, den Eid zur wahrheitsgemäßen Aussage nicht leisten zu müssen, das Recht, überhaupt jegliche Aussage zu verweigern(10).

Von England breitete sich der »nemo-tenetur«-Grundsatz nach Nordamerika aus(11). Er wurde 1776 in die Declaration of Rights von Virginia aufgenommen, die erste der modernen Rechte-Erklärungen. Als im Jahr 1791 Grundrechte in die Verfassung der kürzlich gegründeten USA eingefügt wurden, war das Recht, nicht zum Zeugnis gegen sich selbst gezwungen zu werden, im fünften Zusatzartikel (»Amendment«) enthalten. Dagegen kannte die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 zwar die Unschuldsvermutung(12), aber noch kein Recht, im Strafprozess zu schweigen.

In Deutschland wurde das Schweigerecht des Beschuldigten mit der Abschaffung des Inquisitionsprozesses um 1848 herum eingeführt. Das Schweigerecht wurde als Bestandteil des modernen Anklageprozesses verstanden, den man aus Frankreich übernahm(13) . Die Folter war zu jener Zeit schon länger abgeschafft – in Preußen etwa um das Jahr 1740 –, war aber durch Ungehorsams- und Lügenstrafen ersetzt worden, mit denen die Aussagepflicht des Beschuldigten durchgesetzt wurde(14). Bei der Einführung der Reichs-Strafprozessordnung von 1877 – der heute mit einigen Änderungen immer noch gültigen StPO – galt das Schweigerecht bereits als ein Grundsatz, der als selbstverständlich vorausgesetzt werden konnte und daher nicht ausdrücklich normiert wurde.

Allerdings hatte der »nemo-tenetur«-Grundsatz für den Gesetzgeber der StPO noch nicht den Inhalt, der ihm heute gegeben wird. Nach den Gesetzesmaterialien durfte nämlich das Schweigen des Angeklagten gegen diesen als Indiz verwendet werden. Auf seine ausdrückliche Belehrung über das Schweigerecht wurde deshalb bewusst verzichtet. In § 136 Abs. 1 S. 2 StPO hieß es nur, der Beschuldigte sei zu befragen, »ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle«. In den Motiven wurde ausgeführt, eine Belehrung könne »leicht den Beschuldigten veranlassen (...), seiner eigenen Sache zu schaden, weil man häufig geneigt sein wird, das Schweigen, wenn auch das Gesetz dem Beschuldigten das Recht hierzu nicht streitig macht, zu seinem Nachtheil zu deuten«(15).

2. Gesetzlicher Niederschlag

Der »nemo-tenetur«-Grundsatz ist in der StPO nicht direkt normiert. Das Schweigerecht des Angeklagten kommt dort vor allem in den 1964 eingeführten(16) Belehrungsvorschriften zum Ausdruck, nach denen der Beschuldigte darauf hinzuweisen ist, dass es ihm freistehe, nicht zur Sache auszusagen – § 115 Abs. 3 S. 1 StPO (Vorführung nach Verhaftung), § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (erste richterliche Vernehmung), auch in Verbindung mit §§ 163a Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 S. 2 StPO (Vernehmung durch Staatsanwaltschaft und Polizei) sowie § 243 Abs. 4 S. 1 StPO (Hauptverhandlung).

Wichtige Niederschläge des »nemo-tenetur«-Grundsatzes finden sich daneben in § 55 StPO, der dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht gewährt, wenn er sich sonst belasten müsste, und in § 136a StPO, wo Misshandlung, Quälerei, Täuschung, Drohung mit unzulässigen Maßnahmen und ähnliche Vernehmungsmethoden verboten werden. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO enthält ein Verwertungsverbot für Aussagen, die mit derartigen Methoden erlangt wurden. Aussageverweigerungsrechte sind im Übrigen etwa auch in vielen – aber nicht allen – Verwaltungsgesetzen vorgesehen, beispielsweise gegenüber den Datenschutz-Aufsichtsbehörden in § 38 Abs. 3 S. 2 BDSG(17).

Ausdrücklich niedergelegt ist der »nemo-tenetur«-Grundsatz im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) von 1966, der in Deutschland mit dem Rang eines einfachen Bundesgesetzes gilt(18). Nach § 14 Abs. 3 lit. g) IPBPR darf der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte nicht gezwungen werden, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Auch damit ist nur ein Teil dessen umfasst, was man unter dem »nemo-tenetur«-Grundsatz versteht. So gilt § 14 Abs. 3 lit. g) IPBPR nur im Strafverfahren und dort auch nur für den Angeklagten(19).

Daneben wird der »nemo-tenetur«-Grundsatz auch als ein Inhalt des von der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten fairen Verfahrens angesehen. Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) von 1950 gilt in Deutschland ebenfalls mit Gesetzesrang(20). Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK hat jede Person Anspruch unter anderem darauf, dass über ihre zivilrechtlichen Streitigkeiten oder eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem Gericht in einem fairen Verfahren(21) entschieden wird. Das Verbot des Selbstbelastungszwangs wird als Bestandteil dieser Gewährleistung angesehen(22). Allerdings dürfte wohl nicht alles, was in Deutschland unter dem »nemo-tenetur«-Grundsatz verstanden wird, zwingender Bestandteil des fairen Verfahrens nach der EMRK sein(23).

III. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Die verfassungsrechtliche Fundierung des Schweigerechts ist auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt. Im Folgenden sollen vier Entscheidungen skizziert werden, die hierfür von besonderem Interesse sind(24).

1. Unfallflucht

In einem Beschluss vom 29. Mai 1963(25) entschied der Zweite Senat des BVerfG durch einen Ausschuss, der – damalige – § 142 StGB (Verkehrsunfallflucht) sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Ein Beteiligter dürfe sich vom Unfallort auch dann nicht entfernen, wenn er sich durch ein Verweilen der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung wegen des Unfalls aussetze(26). Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde als offensichtlich unbegründet verworfen(27). Ein Fortfall des § 142 StGB würde die zivilrechtlichen Entschädigungsansprüche der Unfallopfer in zahlreichen Fällen entwerten. Das Rechtsstaatsprinzip sei nicht verletzt, da es nicht besage, dass die Selbstbegünstigung immer erlaubt sein müsse(28). Das Verbot der Unfallflucht verstoße auch nicht gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Dazu erklärte das Gericht: »Der Staatsbürger wird nicht entwürdigt, wenn die Rechtsordnung von ihm verlangt, daß er für die Folgen seines menschlichen Versagens einsteht und die Aufklärung von Unfallursachen wenigstens nicht durch die Flucht erschwert oder gar vereitelt«(29).

2. Veränderung der Haar- und Barttracht

Mit Beschluss vom 14. Februar 1978(30) erklärte das Gericht Veränderungen der Haar- und Barttracht eines Beschuldigten zum Zwecke der Gegenüberstellung auf der Grundlage von § 81a StPO für zulässig. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde als offensichtlich unbegründet verworfen(31). Die zwangsweise Veränderung der Haar- und Barttracht verstoße nicht gegen die Menschenwürde des Beschuldigten. Dieser werde nicht zum bloßen »Schauobjekt« erniedrigt. Solche Maßnahmen seien von verhältnismäßig geringer Intensität, zumal sie das Aussehen des Beschuldigten nur vorübergehend veränderten. Er müsse die Veränderungen im Interesse überwiegender Belange des Gemeinwohls hinnehmen(32).

3. »Gemeinschuldnerbeschluss«

Am 13. Januar 1981 entschied das BVerfG in einem Beschluss, die Auskunftspflicht des Gemeinschuldners im Konkursverfahren sei verfassungsgemäß; sie müsse aber durch ein Verwertungsverbot im Strafverfahren ergänzt werden(33). Das Gericht formulierte, das Schweigerecht des Beschuldigten werde »in der Rechtsprechung als selbstverständlicher Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung bezeichnet, die auf dem Leitgedanken der Achtung vor der Menschenwürde beruhe«(34).

Das Grundgesetz gebiete aber keinen lückenlosen Schutz gegen Selbstbezichtigungen ohne Rücksicht darauf, ob dadurch schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt würden. Unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar wäre ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen. Insoweit gewähre Art. 2 Abs. 1 GG einen Schutz, der alter und bewährter Rechtstradition entspreche. Handle es sich hingegen um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, sei der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen(35).

4. Schweigen als belastendes Indiz

Mit Kammerbeschluss vom 7. Juli 1995 entschied das BVerfG, das Schweigen des Beschuldigten im Strafverfahren dürfe gegen diesen jedenfalls dann nicht als belastendes Indiz verwendet werden, wenn er die Einlassung zur Sache vollständig verweigert habe(36). Ein Zwang zur Selbstbezichtigung berühre die Würde des Menschen, dessen Aussage gegen diesen selbst verwendet werde. Das dem Beschuldigten im Strafverfahren zustehende Schweigerecht werde ergänzt und abgesichert durch den aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Das aus der Menschenwürde des Beschuldigten hergeleitete Schweigerecht sei illusorisch, wenn er befürchten müsse, dass sein Schweigen später bei der Beweiswürdigung zu seinem Nachteil verwendet werde(37).

IV. Verfassungsrechtliche Fundierung des »nemo-tenetur«-Grundsatzes

Die geschilderte Rechtsprechung des BVerfG lässt einigen Raum für Zweifel. So soll es zwar eines Menschen nicht würdig sein, durch Aussagen zu einer eigenen strafgerichtlichen Verurteilung beizutragen zu müssen; andererseits aber wird die Pflicht, nach einem Unfall zu warten und sich dadurch einer strafrechtlichen Verfolgung auszuliefern, als gänzlich unproblematisch angesehen. Vermutlich ist dieser Wertungswiderspruch durch den zeitlichen Abstand der einzelnen Entscheidungen zu erklären. Jedenfalls kann die verfassungsrechtliche Fundierung des »nemo-tenetur«-Grundsatzes noch nicht als durch die Rechtsprechung vollständig geklärt gelten. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die verfassungsrechtliche Absicherung dieses Grundsatzes unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten zu untersuchen.

1. Würde des Menschen

In Rechtsprechung und Literatur wird das Schweigerecht vielfach mit der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Würde des Menschen begründet(38).

a) Bedeutung der Menschenwürde

Der Rechtsbegriff der Würde des Menschen ist so allgemein, dass sein Inhalt ausgesprochen unscharf ist. Generell ist die Bedeutung des Schutzes der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG, den Eigenwert des Menschen als Person als tragenden Verfassungswert festzuschreiben(39). Anknüpfend an die Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus ging es zunächst vor allem um den Schutz vor »Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung« und dergleichen(40). Aus diesem Kernaspekt der Verbürgung der Menschenwürde folgt jedenfalls, dass nach Art. 1 Abs. 1 GG auch der schuldige Straftäter einen Wertanspruch hat, der bei der Strafverfolgung beachtet werden muss. Der »nemo-tenetur«-Grundsatz folgt aus diesem recht allgemeinen Gedanken noch nicht.

b) Objektformel

Eine gängige Konkretisierung der Menschenwürde ist die »Objektformel«, die besagt, dass der Mensch nicht zum bloßen Objekt des Staates herabgewürdigt werden dürfe(41). Diese Formel mag in manchen Fällen recht konkrete Folgerungen ermöglichen; in Anwendung auf den »nemo-tenetur«-Grundsatz führt sie jedoch nicht weiter. Der Grundsatz, dass niemand gezwungen ist, sich selbst anzuklagen, bedeutet nämlich gerade ein Recht zur Passivität(42). Er erlaubt dem Beschuldigten, das Verfahren über sich ergehen zu lassen, anstatt es durch seine Mitwirkung aktiv zu beeinflussen. Gewissermaßen handelt es sich um ein Recht darauf, Objekt zu bleiben.

Bei rein formaler Betrachtung könnte auch die Entscheidung des BVerfG, nach der eine zwangsweise Veränderung der Haar- und Barttracht zum Zweck der Gegenüberstellung unproblematisch sein soll, nicht vor der Objektformel bestehen. Gerade hier wird der Beschuldigte im formalen Sinne zum Objekt gemacht, indem sein Körper als Gegenstand einer Inaugenscheinnahme herangezogen und dafür sogar noch verändert wird(43). Eine solche formale Betrachtungsweise ist jedoch nicht angezeigt. Der Beschuldigte wird schon deshalb nicht zum reinen Objekt gemacht, weil er im Mittelpunkt des Strafverfahrens steht und es dort um seine individuelle Schuld geht. Er ist also nicht nur Mittel des Strafverfahrens, sondern zugleich dessen Zweck. Dadurch, dass der Angeklagte auch als Mittel eingesetzt wird, wird er noch nicht zum Objekt herabgewürdigt(44).

Wenn eine Pflicht zur Aussage den Aussagenden stets unter Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG zum Objekt machen würde, müsste das im Übrigen nicht nur für den Angeklagten, sondern auch für den Zeugen gelten(45). Dieser steht nämlich nicht einmal im Mittelpunkt des Strafverfahrens, sondern wird lediglich zur Ermittlung der Wahrheit über einen anderen herangezogen. Würde man ein Recht zur Aussageverweigerung mit der Objektformel begründen, müsste es also auch uneingeschränkt für alle Zeugen bestehen.

c) Gedanke der Unzumutbarkeit

Der Menschenwürdegehalt des »nemo-tenetur«-Grundsatzes wird in erster Linie damit begründet, dass ein Zwang zur wahrheitsgemäßen Aussage zu einem Konflikt mit dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb und damit zu schweren inneren Konflikten führen müsste(46). Als allein tragendes Argument müsste das bedeuten, dass die unbewusste Selbstbelastung und Täuschung aus dem Anwendungsbereich des »nemo-tenetur«-Grundsatzes herausfallen würden. Außerdem müsste das Ausmaß der psychischen Belastung eine Rolle spielen. So ist zum Beispiel zweifelhaft, ob im Verfahren über ein Bußgeld wegen Falschparkens der Beschuldigte durch eine Aussagepflicht in einen schweren inneren Konflikt gestürzt werden könnte(47).

Vor allem aber müsste umgekehrt ein Selbstbelastungszwang auch dann menschenunwürdig sein, wenn es um schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile geht(48). Eine zivilrechtlich oder im Verwaltungsverfahren durchgesetzte Aussagepflicht kann den Verpflichteten zwingen, Angaben zu machen, durch die er sich wirtschaftlich ruiniert. Das kann im Einzelfall weitaus schwerer wiegen als manches Strafverfahren, in dem eine Geld- oder Bewährungsstrafe droht. Nun hat im »Gemeinschuldnerbeschluss« das BVerfG entschieden, bei berechtigten Informationsbedürfnissen Dritter dürfe der Gesetzgeber abwägen(49). Dann ist aber fraglich, ob der Schutz vor Strafverfolgung aufgrund eigener Aussagen aus Gründen der Menschenwürde absolut sein kann. Der Gedanke des BVerfG aus der Entscheidung zur Unfallflucht, der Staatsbürger werde nicht entwürdigt, wenn die Rechtsordnung von ihm verlange, für die Folgen seines menschlichen Versagens einzustehen(50), lässt sich ohne weiteres auf den Strafprozess übertragen.

Demnach erfordert die Würde des Menschen keinen generellen Schutz vor Selbstbelastung(51). Sicherlich ist der Unzumutbarkeitsgedanke von der Achtung vor der Menschenwürde geprägt. Der Respekt der Rechtsordnung vor dem Eigenwert der Person kann durch ein umfassendes Schweigerecht zum Ausdruck gebracht werden. Dabei besteht aber einiger Gestaltungsspielraum. In diesem Zusammenhang sei angemerkt: Dass die Menschenwürde unantastbar ist und unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf, bedeutet nicht, dass alle ihre Konkretisierungen generell abwägungsfrei wären. Wie sich Art. 1 GG entnehmen lässt, beruhen die Grundrechte in ihrer Gesamtheit auf der Würde des Menschen und dienen ihrer Sicherung(52). Dennoch ist eine Einschränkung einzelner Grundrechte, also einzelner Konkretisierungen der Menschenwürde, ausdrücklich zugelassen.

2. Allgemeines Rechtsstaatsprinzip

Neben der Menschenwürde wird der »nemo-tenetur«-Grundsatz auch mit dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip begründet.

a) Problem der Herleitung

In der Rechtsprechung des BVerfG und weiten Teilen der Literatur ist seit langem anerkannt, dass das Grundgesetz ein allgemeines Rechtsstaatsprinzip enthält(53). Dessen Herleitung allerdings ist ungeklärt und ausgesprochen problematisch. Das BVerfG verweist, sofern es dazu überhaupt eine Aussage macht, meist ohne weitere Argumentation auf Art. 20 Abs. 3 GG(54), vereinzelt auch mit Art. 20 Abs. 2 GG(55), gelegentlich auch auf Art. 20 in Verbindung mit Art. 28 GG(56) oder mit Art. 28 GG und weiteren Bestimmungen(57). Andererseits hat das Gericht, als es darauf ankam, ausdrücklich festgestellt, in Art. 20 GG sei nicht etwa das Rechtsstaatsprinzip niedergelegt, sondern nur ganz bestimmte Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips(58).

Letztere Feststellung ist richtig. Auch aus Art. 28 GG, nach dem die verfassungsmäßige Ordnung der Länder unter anderem den Grundsätzen des Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss, ergibt sich nichts anderes. Zwar sollte Art. 20 GG seiner Entstehungsgeschichte nach tatsächlich eine »demokratisch-rechtsstaatliche Grundordnung« näher umschreiben. Dabei gingen die Schöpfer des Grundgesetzes jedoch davon aus, in Art. 20 GG selbst die wesentlichen Bestandteile einer rechtsstaatlichen Grundordnung vollständig zu erfassen(59). Ein darüber hinausgehendes allgemeines Rechtsstaatsprinzip ist nirgends im Grundgesetz normiert. Die wesentlichen Gehalte, die gemeinhin dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip zugeschrieben werden, lassen sich allerdings auch jeweils auf anderem Wege herleiten(60). Das gilt zumindest für das Recht auf ein faires Verfahren, auf das es hier konkret ankommt.

Das BVerfG hat das Recht auf ein »faires, rechtsstaatliches Verfahren« nicht nur aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip abgeleitet, sondern auch aus der Menschenwürde und den Grundrechten, insbesondere dem Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), dessen freiheitssichernde Funktion auch im Verfahrensrecht Beachtung erfordere(61). Das Gebot der Grundrechtssicherung durch Verfahren(62) muss in der Tat auch im Strafverfahren gelten und sicherstellen, dass nicht etwa ungerechtfertigte Eingriffe in Grundrechte – wie besonders die Freiheit der Person oder die Eigentumsfreiheit – als Strafe verhängt werden.

b) Folgerungen

Zur Begründung des »nemo-tenetur«-Grundsatzes mit dem Rechtsstaatsprinzip wird in erster Linie das aus diesem Prinzip abgeleitete Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren herangezogen(63). Daraus wird unter anderem gefolgert, dass niemand zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden darf(64). Hierzu wie auch zum Gedanken der Unzumutbarkeit einer Selbstbelastung lassen sich die Ausführungen übertragen, die oben zur Würde des Menschen gemacht wurden.

Eine weitere wesentliche Folgerung aus dem Rechtsstaatsprinzip ist das Anliegen, dass nur den wirklich Schuldigen die im sachlichen Recht vorgesehenen Unrechtsfolgen treffen. Deshalb sind Richter und Staatsanwälte verpflichtet, alles dafür zu tun, dass nur der Schuldige bestraft, der unschuldig in Verdacht Geratene aber baldmöglichst aus dem Verfahren entlassen oder freigesprochen wird(65). Diese Aussage lässt sich auch ohne Rückgriff auf ein allgemeines Rechtsstaatsprinzip mit der verfahrenssichernden Funktion der Grundrechte begründen. Wenn der Staat nicht die Wahrheit ermittelt, sondern aufgrund eines ungeeigneten Verfahrens Strafen gegen Unschuldige verhängt, greift er ohne ausreichende Rechtfertigung in deren Grundrechte ein. Daraus ergibt sich für den Unschuldigen ein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Ein Schweigerecht auch des Schuldigen lässt sich hieraus oder aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip allerdings nicht herleiten.

3. Sonstige Ansätze

a) Rechtliches Gehör

In der juristischen Literatur gibt es weitere Ansätze, den »nemo-tenetur«-Grundsatz verfassungsrechtlich zu begründen. So wurde etwa versucht, diesen Grundsatz aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör herzuleiten(66). Dass in Art. 103 Abs. 1 GG von einem Anspruch auf rechtliches Gehör die Rede ist und nach Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG dem vorläufig Festgenommenen Gelegenheit zu Einwendungen zu geben ist, bedeutet in der Tat keine Aussagepflicht. Das Gegenteil, dass der Gesetzgeber keine Aussagepflicht anordnen darf, ist dem jedoch ebensowenig zu entnehmen(67).

b) Freiheit des Gewissens

Gelegentlich wurde das Recht, nicht zu Aussagen gegen sich selbst gezwungen zu werden, mit der in Art. 4 GG garantierten Gewissensfreiheit begründet(68). Nun mag man einen Eingriff in die freie Wahl, sich als sittlich selbstbestimmte Persönlichkeit nach eigenem Gewissen für oder gegen ein Geständnis zu entscheiden, durchaus als Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit betrachten. Bei genauer Betrachtung greift dieser Gedanke aber allenfalls für das von Reue getragene Geständnis(69). Wenn es bei der Aussagepflicht nicht um einen Zwang zur Reue geht, sondern nur um die Verpflichtung, unabhängig von der eigenen Einstellung dazu zur Sache auszusagen, ist die Freiheit des Gewissens nicht betroffen.

c) Informationelle Selbstbestimmung

Vereinzelt wurde der »nemo-tenetur«-Grundsatz im aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung(70) verortet(71). Das kann ebenfalls nicht überzeugen. Natürlich bedeutet eine Pflicht zur Aussage vor Gericht immer einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Das gilt aber nicht nur für alle Aussagen, etwa auch von Zeugen, sondern sogar für jegliche Ermittlungsarbeit, mit der festgestellt werden soll, was der Angeklagte getan hat. Würde sich das Schweigerecht aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergeben, müsste jegliche Sachverhaltsermittlung gegen den Willen des Beschuldigten unzulässig sein(72).

d) Freie Entfaltung der Persönlichkeit

Schließlich wird zur Begründung des »nemo-tenetur«-Grundsatzes aus der Verfassung auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen(73). In der Tat bedeutet die Normierung einer Aussagepflicht – wie so vieles staatliche Handeln – ohne weiteres einen Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dieser Eingriff ist aber ebenso ohne weiteres gerechtfertigt, sofern er nur verhältnismäßig ist(74). Art. 2 Abs. 1 GG bedeutet für den »nemo-tenetur«-Grundsatz lediglich, dass Aussagen nicht mit unverhältnismäßigen Mitteln erzwungen werden dürfen.

4. Ergebnis

Der »nemo-tenetur«-Grundsatz ist nur zum Teil durch Verfassungsrecht abgesichert. Die Grundrechte erfordern, dass der Staat Aussagen nicht mit unverhältnismäßigen Mitteln erzwingt. Entweder aus dem Rechtsstaatsprinzip oder aus dem verfahrenssichernden Aspekt der Grundrechte folgt ein Schutz des Unschuldigen vor Selbstbelastung. Wegen der Garantie der Menschenwürde muss der Staat stets den Respekt vor dem Eigenwert auch des Schuldigen als Person bewahren. Dieser Respekt kann sich in einem umfassenden Schweigerecht äußern, das jedoch ist nicht zwingend.

V. Strafmildernde Wirkung von Geständnissen

1. Rechtsprechung

Bereits 1951 hat der BGH entschieden, es sei unzulässig, den geständigen Verbrecher nur seines Geständnisses wegen milder und den leugnenden Verbrecher nur seines Leugnens wegen härter zu bestrafen. Allenfalls könne das Leugnen unter Umständen Rückschlüsse auf das Maß der Schuld und der Gefährlichkeit zulassen und deswegen zu berücksichtigen sein(75). Daran hat der BGH lange festgehalten(76), auch wenn die Praxis der Strafgerichte immer zu einer pauschalen Berücksichtigung von Geständnissen neigte(77). Eine Wende ergab sich erst in jüngerer Zeit durch die Rechtsprechung zur Verständigung im Strafverfahren (dem sogenannten »Deal«).

1987 hatte das BVerfG in einem Kammerbeschluss Absprachen im Strafverfahren grundsätzlich für zulässig erklärt(78). Der Richter dürfe auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses hinweisen, wenn dies im Stand der Hauptverhandlung eine sachliche Grundlage finde(79). Der BGH billigte dann durch ein Urteil vom 28. August 1997 unter bestimmten Voraussetzungen die Verständigung im Strafverfahren(80). Es dürfe keine Zusage über ein genaues Strafmaß gemacht werden, aber eine Obergrenze für den Fall eines Geständnisses im schuldangemessenen Rahmen dürfe zugesagt werden(81). In diesem Zusammenhang stellte der BGH fest: »Jedes Geständnis eines Angeklagten ist (...) grundsätzlich geeignet, Bedeutung als strafmildernder Gesichtspunkt zu erlangen«(82). Auch bei einem Geständnis, das aufgrund einer Absprache erfolge, bekenne sich der Angeklagte zu seiner Tat und fördere das Prozessziel des Rechtsfriedens. Außerdem könne ihm ein Geständnis auch als Beitrag zur Sachaufklärung und Verfahrensabkürzung zugute gehalten werden. Nach dem Zweifelsgrundsatz sei zudem davon auszugehen, dass das Geständnis von Schuldeinsicht und Reue getragen werde(83).

Jüngst hat der BGH seine Rechtsprechung zur Verständigung im Strafverfahren mit Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 3. März 2005 bestätigt und präzisiert(84). Dabei hat er festgestellt, die Differenz zwischen der absprachegemäßen und der bei einem »streitigen Verfahren« zu erwartenden Sanktion dürfe nicht so groß sein, dass sie mit einer angemessenen Strafmilderung wegen eines Geständnisses nicht mehr erklärbar sei(85).

2. Kritik

Nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung darf Leugnen allenfalls unter besonderen Umständen strafschärfend gewertet werden, aber ein Geständnis wirkt sich so gut wie immer strafmildernd aus. Nun sind aber die (zulässige) strafmildernde Wirkung des Gestehens und die (unzulässige) strafschärfende Wirkung des Nicht-Gestehens zwei Seiten derselben Medaille(86). Nur bei einer Betrachtung vom Einzelfall aus scheint es zwischen beiden Regeln einen Unterschied in der Strafhöhe zu geben, der die unterschiedliche Bewertung rechtfertigen könnte. Bei allgemeiner Anwendung einer dieser Regeln kommt es zu einer generellen Verschiebung des Strafniveaus.

Es sei einmal angenommen, in unserer Rechtsordnung drohte einem Täter für eine bestimmte Straftat eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, die er durch ein Geständnis auf sechs Monate reduzieren könnte. Nun stelle man sich eine fiktive Rechtsordnung vor, in der für dieselbe Tat unter sonst gleichen Umständen eine Strafe von sechs Monaten verhängt wird – die sich aber auf zehn Monate erhöht, wenn der Täter kein Geständnis ablegt. Im Ergebnis besteht für den Angeklagten keinerlei Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen. Nur für den Richter ändert sich insofern etwas, als er die Abweichung vom jeweils theoretischen Normalfall im Urteil ausdrücklich feststellen muss.

Gegen die Argumente, die der BGH für eine pauschale strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen anführt, lässt sich schon auf der Ebene des einfachen Rechts einiges einwenden. Wie geschildert, sieht der BGH in dem Geständnis vor allem ein Indiz, das in der Regel den Schluss auf die Reue des Täters zulässt und damit zu einer milderen Beurteilung von Täterpersönlichkeit und Tatschuld führt(87). Als Ausdruck einer Rückkehr zur Rechtsordnung kann man ein Geständnis nur werten, wenn es in freier Selbstbestimmung und nicht unter dem Druck möglicher Nachteile erfolgt(88). Das Argument, man müsse wegen des Zweifelssatzes davon ausgehen, dass ein Geständnis in der Regel auf der Reue des Täters beruhe, trägt nur auf den ersten Blick. Nach dem Zweifelssatz müsste man nämlich genauso davon ausgehen, dass ein Täter, der vor Gericht nicht aussagt, nur aus Angst vor einer Verurteilung oder gar aus Scham schweigt, in seinem Innersten aber die Tat zutiefst bereut(89). Die strafmildernde Wirkung müsste dann nicht nur für den geständigen, sondern genauso für den schweigenden Täter gelten.

Gegen eine pauschale strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen sprechen aber auch verfassungsrechtliche Gründe. Wie festgestellt, hat das Verfahrensrecht möglichst sicherzustellen, dass Unschuldige nicht zu Strafen verurteilt werden. Muss aber in einem Strafverfahren der Beschuldigte mit einer härteren Strafe rechnen, wenn er kein Geständnis ablegt, dann können dadurch Unschuldige zu einem falschen Geständnis gedrängt werden. Der unschuldig Angeklagte, gegen den einige Indizien sprechen, könnte eine sichere milde Strafe akzeptieren, um das Risiko einer harten Strafe zu vermeiden.

Besonders groß ist diese Gefahr zum einen an der Grenze zwischen einer Bewährungsstrafe und einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung, zum anderen an der Schwelle zu einer Eintragung der Straftat in das Führungszeugnis (also vor allem nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a) BZRG bei einer Verurteilung zu nicht mehr als 90 Tagessätzen Geldstrafe). In einigen Fällen dürfte es für den unschuldigen Angeklagten die einzig rationale Entscheidung sein, seinen Stolz zu überwinden, ein falsches Geständnis abzulegen und dadurch mit Sicherheit unter der jeweiligen Schwelle zu bleiben.

Eine Rechtsregel, die einen solchen faktischen Zwang zum falschen Geständnis zulässt – und zwar nicht nur in seltenen Ausnahmefällen –, kann vor der Verfassung keinen Bestand haben. Wie festgestellt, ergibt sich sich aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip(90) oder aus der verfahrenssichernden Funktion der Grundrechte das Erfordernis, im Strafverfahren die Wahrheit zu ermitteln und nur die Schuldigen zu bestrafen, die Unschuldigen aber freizusprechen oder aus dem Verfahren zu entlassen. Eine pauschale strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen ist daher nicht einfach nur rechtspolitisch falsch, sondern auch verfassungswidrig(91).


1 BVerfG NStZ 1995, 555; Stalinski, Aussagefreiheit und Geständnisbonus, elektronische Diss., Univ. Düsseldorf, 2000, S. 59 ff.; Rogall, in: Rudolphi u. a., Systematischer Kommentar zur StPO und zum GVG (SK-StPO), Stand April 2004 (Loseblatt), vor § 133, Rdn. 207, m.w.N.

2 Man mag bezweifeln, ob diese Kurzform glücklich gewählt ist, bedeutet sie doch wenig aussagekräftig: »niemand-ist-gehalten-Grundsatz«.

3 Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 136 ff., m.w.N.

4 Vgl. Gribbohm, in: Jähnke u. a., StGB, Leipziger Kommentar, § 46, Rdn. 206 ff.; Stalinski (Fn. 1), S. 68 ff., m.w.N.

5 SK-StPO - Rogall (Fn. 1), vor § 133, Rdn. 132; Nothhelfer, Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, 1989, S. 10 ff.; Kraft, Das nemo tenetur-Prinzip und die sich daraus ergebenden Rechte des Beschuldigten in der polizeilichen Vernehmung, 2002, S. 142 ff.; Stalinski (Fn. 1) S. 18 ff.; vgl. Bosch (Fn. 3), S. 27 ff.

6 Vgl. SK-StPO - Rogall (Fn. 1), vor § 133, Rdn. 139 ff., m.w.N.

7 Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 67 ff.; Stalinski (Fn. 1), S. 3 ff.

8 Nothhelfer (Fn. 5), S. 4, m.w.N.

9 Rogall (Fn. 7), S. 72 ff.

10 Entscheidenden Anteil daran hatte John Lilburne, der führende Kopf der radikal-demokratischen Bewegung der Levellers. Der außerordentlich populäre Lilburne setzte sich beständig für Freiheitsrechte und soziale Rechte ein und geriet dabei mit den jeweils herrschenden Kräften aneinander. Er stand mehrfach vor Gericht und verbrachte einen großen Teil seines Lebens in Haft. Immerhin sein Recht, sich vor Gericht selbst nicht belasten zu müssen, wurde schließlich anerkannt; Rogall (Fn. 7), S. 79 f.; Levy, Origins of the Fifth Amendment, Aufl. 1971, S. 266 ff.; Gregg, Free-born John, Aufl. 1986, S. 52 ff.

11 Rogall (Fn. 7), S. 81 ff.

12 Die Kernaussage der Unschuldsvermutung nach Art. 9 der Déclaration des Droits de l'homme et du citoyen von 1789 ist, dass vor der Schuldigerklärung jede unnötige Härte für den Verdächtigen streng vermieden werden soll.

13 Bosch (Fn. 3), S. 96 ff.; Rogall (Fn. 7), S. 94 ff.

14 Rogall (Fn. 7), S. 90 f.

15 Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, 1885, 1. Abtheilung, 2. Aufl. (Nachdruck), S. 139.

16 BGBl. I, 1067; vgl. Schmidt, NJW 1968, 1209, 1213 ff.

17 In der Tendenz kennen vor allem die neueren oder modernisierten Verwaltungsgesetze ein Aussageverweigerungsrecht.

18 Rogall (Fn. 7), S. 116 ff.

19 Bosch (Fn. 3), S. 25 f.

20 BVerfGE 74, 358, 370.

21 Die verbindlichen Fassungen des Vertrags sind in englischer und französischer Sprache abgefasst. Dort heißt es »everyone is entitled to a fair (...) hearing« bzw. »Toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement«.

22 Meyer-Ladewig, EMRK, Handkommentar, 2003, Art. 6, Rdn. 52 ff.; SK-StPO - Rogall (Fn. 1), vor § 133, Rdn. 131, m.w.N.

23 Bosch (Fn. 3), S. 26 f.

24 Vgl. daneben auch BVerfGE 38, 105, 113; 55, 144, 150 f.

25 BVerfGE 16, 191.

26 BVerfGE 16, 191, 194.

27 BVerfGE 16, 191, 192.

28 BVerfGE 16, 191, 193 f.

29 BVerfGE 16, 191, 194.

30 BVerfGE 47, 239.

31 BVerfGE 47, 246.

32 BVerfGE 47, 246, 247 f.

33 BVerfGE 56, 37.

34 BVerfGE 56, 37, 43.

35 BVerfGE 56, 37, 49.

36 BVerfG NStZ 1995, 555.

37 BVerfG NStZ 1995, 555.

38 Vgl. Nothhelfer (Fn. 5), S. 63 ff., m.w.N.

39 Herdegen, in: Maunz/Dürig u. a., GG, Stand Februar 2004 (Loseblatt), Art. 1, Rdn. 1; Möller, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die Schranken der Verfassungsrevision, 2004, S. 162, m.w.N.

40 BVerfGE 1, 97, 104; 109, 279, 312.

41 BVerfGE 109, 279, 312; vgl. Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 1 I, Rdn. 53, m.w.N.

42 Bosch (Fn. 3), S. 39 ff.

43 Bosch (Fn. 3), S. 40 f.

44 Die Objektformel wurde von Günter Dürig in Anlehnung an Kant entwickelt, der wiederum formuliert hatte, der Mensch könne von keinem Menschen »bloß als Mittel«, sondern müsse »jederzeit zugleich als Zweck« gebraucht werden; vgl. Dreier (Fn. 41), Art. 1 I, Rdn. 51. ff., m.w.N.

45 Bosch (Fn. 3), S. 42.

46 SK-StPO - Rogall (Fn. 1), vor § 133, Rdn. 132; vgl. Bosch (Fn. 3), S. 32. f., m.w.N.

47 Bosch (Fn. 3), S. 33 f.

48 Bosch (Fn. 3), S. 34.

49 BVerfGE 56, 37, 49.

50 BVerfGE 16, 191, 194.

51 So auch Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 4. Aufl. 1999, Art. 1, Rdn. 51; Fischer, Divergierende Selbstbelastungspflichten nach geltendem Recht, 1979, S. 95 ff.

52 Vgl. Dreier (Fn. 41), Art. 1 I, Rdn. 162.

53 BVerGE 2, 380, 403; Herzog, in: Maunz/Dürig (Fn. 39), Art. 20, Rdn. 30 ff.; Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 20, Rdn. 75 f., m.w.N.

54 BVerfGE 35, 41, 47; 39, 128, 143; 84, 133, 159; 92, 365, 409; 102, 254, 335; vgl. Sachs (Fn. 53), Art. 20, Rdn. 75, m.w.N.

55 BVerfGE 52, 131, 143.

56 BVerfGE 63, 343, 353; 92, 277, 325.

57 BVerfGE 2, 380, 403; 45, 187, 246.

58 BVerfGE 30, 1, 24.

59 Vgl. Möller (Fn. 39), S. 164 f.

60 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 464; vgl. Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 20, Rdn. 24.

61 BVerfGE 57, 250, 275.

62 Vgl. Dreier (Fn. 41), vor Art. 1, Rdn. 105, m.w.N.

63 Bosch (Fn. 3), S. 28 und S. 74 ff., m.w.N.; vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, 1998, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdn. 202.

64 BVerfGE 57, 50, 275.

65 BVerfGE 64, 45, 63; BVerfG NJW 1987, 2662, 2663; vgl. Dreier - Schulze-Fielitz, (Fn. 63), Art. 20 (Rechtsstaat), Rdn. 204, m.w.N.

66 Niese, ZStW 63 (1951), 199, 219; Castringius, Schweigen und Leugnen des Beschuldigten im Strafprozeß, Diss., Hamburg 1965, S. 21; Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, Diss., Göttingen 1972, S. 51.

67 Rogall (Fn. 7), S. 124 f.; Nothhelfer (Fn. 5), S. 53 f.

68 Hamel, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 4/1, 1960, S. 85; Zippelius, in: Dolzer u. a., Bonner Kommentar zum GG, Stand Mai 2004 (Loseblatt), Art. 4, Rdn. 42.

69 Rogall (Fn. 7), S. 128 f.; Nothhelfer (Fn. 5), S. 128 f.

70 BVerfGE 65, 1, 41 ff.; vgl. Dreier (Fn. 41), Art. 2 I, Rdn. 78 ff., m.w.N.

71 Nothhelfer (Fn. 5), S. 82 f. und S. 109.

72 Bosch (Fn. 3), S. 50 ff.

73 Rogall (Fn. 7), S. 129 ff.; Nothhelfer (Fn. 5), S. 77 ff.

74 Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG reicht nur so weit, wie seine Nutzung nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt, und kann deshalb durch jede verhältnismäßige Rechtsvorschrift eingeschränkt werden; vgl. etwa Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl. 2004, Art. 2, Rdn. 17 ff.

75 BGHSt 1, 105.

76 BGH NJW 1955, 1158; BGH NStZ 1985, 545; vgl. Stalinski (Fn. 1), S. 62 ff., m.w.N.

77 Vgl. Dencker, ZStW 102 (1990), 51, 52 ff., m.w.N. und bereits Wimmer, ZStW 50 (1930), 538, 583.

78 BVerfG NJW 1987, 2662.

79 BVerfG NJW 1987, 2662, 2663.

80 BGHSt 43, 195.

81 BGHSt 43, 195, 202 ff.

82 BGHSt 43, 195, 210.

83 BGHSt 43, 195, 209.

84 BGH NJW 2005, 1440.

85 BGH NJW 2005, 1440, 1442.

86 Stalinski (Fn. 1), S. 119 f.; vgl. Weigend, JZ 1990, 774, 778; Wimmer, ZStW 50 (1930), 538, 583.

87 Vgl. Dender, ZStW 102, 51, 56; Stalinski (Fn. 1), S. 69 f., m.w.N.

88 Bosch (Fn. 3), S. 118.

89 Rönnau, wistra 1998, 49, 53; Grünwald, StV 1987, 453, 454.

90 So BVerfGE 63, 45, 60 ff. (63); BVerfG NJW 1987, 2662, 2663.

91 Einwenden mag man gegen dieses Ergebnis vielleicht, dass, wenn ein Geständnis für die Strafzumessung unbeachtlich ist, »nicht mehr so recht ersichtlich bleibt, welchen Sinn die Entscheidung für ein Geständnis haben möchte« (Dencker, ZStW 102, 52, 57). Das ist in der Tat richtig. Dass das Geständnis für den Angeklagten keinen Nutzen haben kann, ist jedoch eine notwendige Konsequenz der Entscheidung, an die Verweigerung eines Geständnisses keine Nachteile zu knüpfen. Wenn man also meint, auf Aussagen der Angeklagten nicht generell verzichten zu können, sollte man das auch zugeben und offen eine Aussagepflicht einführen. Nach der hier und bei von Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 51), Art. 1, Rdn. 51, (aber entgegen BVerfG NStZ 1995, 555) vertretenen Auffassung wäre es verfassungsrechtlich zulässig, dann aufgrund einer einigermaßen festen Indizienlage aus dem Schweigen des Angeklagten für diesen ungünstige Schlüsse in Einzelfragen zu ziehen. Eine solche Aussagepflicht wäre jedenfalls weniger geeignet, Unschuldige zu falschen Geständnissen zu veranlassen, als eine generelle Strafmilderung für geständige Angeklagte.